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Form Fol­lows Fic­tion; Instal­la­tion und Fotos: Corinne I. Rusch, 2009

/ Zum Stand der Wurst /

Der Wiener Würs­tel­stand ist eine Marke wie das Kaf­fee­haus oder der Heurige. Doch wie sieht ein Orig­i­nal Wiener Würs­tel­stand eigentlich aus und was ist bei sein­er Gestal­tung zu beacht­en?

Als der Würs­tel­stand vor der Alberti­na neu errichtet wer­den sollte, macht­en wir uns mit den Betreibern auf eine nächtliche Erkun­dungs­tour quer durch die Stadt, auf der Suche nach Vor­bildern. Wir bereis­ten Ringstraße und Gür­tel, Schwe­den­platz und Florids­dor­fer Bahn­hof zur Feld­forschung und tranken unser Bier vor bil­li­gen Alu­mini­umhüt­ten oder umge­baut­en Stahlcon­tain­ern, doch nar­rte uns der wech­sel­hafte Charak­ter der Wurstar­chitek­tur, die Beispiele ver­ran­nen zu keinem Grund­ty­pus und kein Urbild zeigte sich am Boden unseres Sechzehnerblechs. Den tra­di­tionellen Stand fan­den wir nicht, auch war der Mythos bish­er völ­lig ohne Gestal­tung aus­gekom­men. Ohne planer­ische Gestal­tung jeden­falls.

Die Poe­sie um den Würs­tel­stand muss man schon suchen, sie ist von den vie­len Abziehbildern und Werbeschild­chen ganz zugek­lebt, der Geruch von altem Fett und von ver­braten­er Wurst verträgt sich auch wenig damit, und manch­mal strahlt der Mythos nur sehr matt, wenn er von Geschicht­en gespeist wird, wo Fal­co auf der Mari­ahil­fer­straße hingekotzt haben soll und dann von der res­oluten Verkäuferin zum Aufwis­chen ver­don­nert wurde. Doch genießt der Würs­tel­stand wei­thin große Sym­pa­thie, wie man von einem guten Bekan­nten spricht, der über jeden Tadel erhaben ist. Hier gilt auch der Ein­heimis­che noch was: wer akzent­frei am Würs­tel­stand bestellen kann und die Nachrede des Tax­i­fahrers ver­ste­ht, ist in der Stadt angekom­men. Dabei ist der Kult ein rel­a­tiv junger, der Einzug in die Pop­ulärkul­tur fand ab den 80er Jahren statt, Berichte in Fil­men und Mag­a­zi­nen illus­tri­erten die soziale Elas­tiz­ität und Durch­läs­sigkeit, eine Gesellschaft­stankstelle für den Großs­tadt­fla­neur. Der Würs­tel­stand wurde zur Wiener Marke wie der Heurige oder das Kaf­fee­haus.

Gesellschaft­stankstelle für den Großs­tadt­fla­neur

Gesellschaftstankstelle für den Großstadtflaneur

Seine Entwick­lung fol­gt ver­schiede­nen Wegen. Der Geruch der Märk­te haftet manchem Stand heute noch an, wenn er in Nis­chen und Durchre­ichen zwis­chen Mark­stän­den platziert liegt, am vorderen Naschmarkt find­et sich das noch beim Stand der Fleis­cherei Hor­vath. Die Nähe zum Fleis­chhauer liegt auf der Hand, wenn die frischen eige­nen Würste gekocht und direkt verkauft wer­den. Eine ander­er Ursprung sind die fliegen­den Händler und Straßen­verkäufer, im aus­ge­hen­den 18. Jahrhun­derts wur­den sie in Wien Bratel­brater genan­nt; sie verkauften heiße Würste und Geselcht­es an kleinen Verkauf­sstän­den oder aus Gassen­fen­stern her­aus. Andere übten das Gewerbe mit Bauch­lä­den und trag­baren Wurstkesseln aus, auf Jahrmärk­ten und Volks­festen. Im 19. Jahrhun­dert kamen in den ras­ant anwach­senden Städten die Verkehrsknoten und belebten Plätze dazu, wo die eilige Bevölkerung ihre Zwis­chen­mahlzeit­en ein­nahm. In ein­fachen Hand­wa­gen wurde der Wasser­topf mit Kohle beheizt; über­dacht und bess­er aus­ges­tat­tet waren sie nach und nach als fer­tige Anhänger konzip­iert. Erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhun­derts wur­den in Wien fix aufgestellte Stände zuge­lassen. In der Mari­ahil­fer­straße gibt es heute den let­zten noch fahrbaren Stand.

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Auch das Ange­bot verän­dert sich. In der Tante Jolesch pflegte Tor­berg nachts beim Würs­tel­stand am Schot­ten­tor einen Apfel zu essen, während sein schräger Begleit­er Dr. Sper­ber einige Buren­würste verzehrte. Der einge­baute Wurstkocher beherrschte bis vor 30 Jahren das Speiseange­bot uneingeschränkt, im Wasser­bad schwammen die Meter­bu­ren­wurst, die Debrezin­er, Frank­furter und Wald­viertler nach dem Pro­porz, unsicht­bar und den hun­gri­gen Blick­en ent­zo­gen. Dann trat die gegrillte Käsekrain­er ihren Siegeszug an und heute macht sie in Innen­stadt­la­gen schon 70 Prozent des Wurstkon­sums aus. Form fol­lows func­tion: Grillplat­ten und Frit­teuse beanspruchen deut­lich mehr Platz als früher und ziehen aufwendi­ge Abluftan­la­gen nach sich. Die Stände ver­wan­deln sich zu kleinen Restau­rants, wo alles auf eng­stem Raum unterzubrin­gen ist.

Aber wie kann ein neuer Würs­tel­stand ausse­hen? Der Ver­such, von den beste­hen­den Hüt­ten etwas zu ler­nen, als unbescholtene Äußerung ein­er anony­men Architek­tur, führt wohl eher in den Wahnsinn. Gestal­ter­isch sollen die Stände offen und trans­par­ent erscheinen, Speisen und Pro­duk­te ein­se­hbar und in Vit­ri­nen und Schaufen­stern insze­niert. Der Stand als Objekt kann zeichen­haft wirken, aber nicht plump. Die typol­o­gis­che Nähe zum Strand­kiosk und mobilen Eiswa­gen ist größer als die zum Imbis­s­restau­rant. Mate­r­i­al, Beleuch­tung und Beschrif­tung spie­len eine große Rolle, hier lassen sich Ref­eren­zen und ver­spielte Bezüge aus­drück­en.

Das alles ist weniger eine Frage des Stils; planer­isch einzu­greifen heißt hier vor allem auch das Innen­leben zu organ­isieren und tech­nis­che Anforderun­gen zu ord­nen, son­st wird das hüb­scheste äußere Kleid am Ende nicht gut passen, weil hier was durch­drückt und dort was darüber­ste­ht. Das ist eine Tüftelei mit viel Abstim­mung und Detailze­ich­nun­gen. Bei den Baube­sprechun­gen sind min­destens so viele Fir­men anwe­send wie bei einem mit­tleren Wohn­haus.

Es soll sich vor gar nicht so langer Zeit bei einem Stand am Florids­dor­fer Spitz zuge­tra­gen haben: eifrige Steuer­beamte beobachteten das Objekt eine Weile im Ver­bor­ge­nen, ehe sie anschließend den Inhalt sämtlich­er Mis­tkü­bel akku­rat am Boden aus­bre­it­en ließen, um die Kon­suma­tion inner­halb eines bes­timmten Zeitraumes nachzuweisen. Solch wilde Steuer­prü­fun­gen wird man heute nicht mehr antr­e­f­fen, seit Reg­istri­erkassen in den Stän­den ver­bre­it­et sind, auch weil damit die Mitar­beit­er kon­trol­liert wer­den. So kön­nen Geschicht­en zu Anek­doten wer­den. Ein Betreiber erzählte die fol­gende Episode aus den 80er Jahren, als an der Kruger­straße Ecke Kärnt­ner­straße ein Anschlag auf die ungarische Bank verübt wurde und von der Explo­sion Split­ter und Bruch­stücke nach allen Seit­en geschleud­ert wur­den, da bück­te sich in diesem Moment der Wurstverkäufer im angren­zen­den Würs­tel­stand nach einem Sen­fkü­bel, und behielt so sein Leben in unruhi­gen Zeit­en. Die Umstände sind längst vergessen, die Zeitgenossen­schaft ist in ein Anek­doten­kleid geschlüpft.

Die sym­pa­this­che Vorstel­lung vom Würs­tel­stand als Ort der Kom­mu­nika­tion verdeckt seine eigentliche Funk­tion als Nahver­sorg­er: hier ernähren sich die Eili­gen und Arbei­t­en­den, im Ste­hen zwis­chen zwei Wegen, bil­lig und schnell muss es herge­hen, als Mit­spiel­er im Fast­food-Seg­ment darf ein Paar Frank­furter selb­st in guten Lagen kaum mehr kosten als 2,90 €. Hier tritt die Fam­i­lienähn­lichkeit mit Piz­za Bude, Kebab-Stand und Asia-Snack beson­ders zutage.

Wie wird man Würs­tel­standbe­sitzer? Je nach Sit­u­a­tion und Größe ist für die Zulas­sung die Baube­hörde, das Mark­tamt oder das Mag­is­tratis­che Bezirk­samt zuständig. Das lässt etwas Raum für strate­gis­ches Vorge­hen, ein bevorzugter Weg bestand darin, eine gewer­berechtliche Genehmi­gung der Betrieb­san­lage zu erwirken, ohne dass dabei die Abteilung für Stadt­gestal­tung, die MA19, ein Mit­spracherecht hat­te. So wurde manch­er Stand for­mal-juris­tisch abge­seg­net, ohne dass sich jemand für die Gesamt­be­tra­ch­tung zuständig fühlte. Seit eini­gen Jahren sind die Behör­den aufmerk­samer und neue Stand­plätze wer­den kaum mehr bewil­ligt. Die Wirtschaft­skam­mer zählt derzeit 603 Würs­tel- und Kebab­stände für Wien.

Vom unbekan­nten Erbonkel kön­nte man sich statt des Grund­stücks im Döblinger Cot­tage eben­so gut den Pachtver­trag für einen guten Stan­dort erhof­fen, in Ringnähe oder beim Schwe­den­platz. Das Betreiben ist ein Gast­gewerbe ohne Befähi­gungsnach­weis, ein so genan­ntes freies Gewerbe. Das klingt ver­we­gen und stolz, und in einem Land, in dem so vieles geregelt wird, liegt im freien Gewerbe noch das Ver­sprechen auf eine Zukun­ft für die Neuan­fänger und Zuge­zo­ge­nen. Nicht wenige Betreiber sind in dieser Gen­er­a­tion zuge­wan­dert, und mis­chen sich mit altem öster­re­ichis­chen Wurstadel und Wirtshaus­be­treibern der drit­ten Gen­er­a­tion.

Kutschermenü und Nachtvögel

Die Tageschronolo­gie eines Standes wie dem vor der Alberti­na begin­nt um 7 Uhr in der Früh, wenn der Stand gere­inigt wird. Straßenkehrer und Handw­erk­er tauchen als Erste auf, etwas später nehmen die Fiak­er­fahrer ihr Kutscher­menü ein, ein weißer Spritzer mit einem Jäger­meis­ter. Der träge Vor­mit­tag wird mit­tags von Handw­erk­ern und eili­gen Pas­san­ten jäh been­det, auch aus den umliegen­den Büros wird hier im Ste­hen geluncht, ein Faden aus Shop­ping­gästen und Touris­ten wird den Nach­mit­tag über nicht abreißen, ehe zu Büro- und Geschäftss­chluss manch­er ein kleines Nachtmahl am Nach­hauseweg ein­nimmt. Die Belegschaft wech­selt für die Nacht zum Män­nerteam, flotte Opernbe­such­er riskieren die Vorstel­lungspause für ein Glas Sekt im Freien, dann lassen sich erste Nachtvögel nieder, tauchen von irgend­wo auf, ver­weilen kurz und ver­schwinden wieder, Tax­i­fahrer schwirren zu jed­er Nachtzeit um den Stand, bis zur behördlichen Sperrstunde um 4 Uhr früh.

Diese Chronik ist eine inner­städtis­che, am Florids­dor­fer Spitz oder beim Prater wer­den andere Funk­tio­nen her­vortreten, auch wenn die Würste diesel­ben sind. Als Zuflucht­sort für Trinker und Herum­stre­uner zum Beispiel, die nie­mand als Fla­neure beze­ich­nen würde.

Nach unser­er ergeb­nis­losen Rund­tour blieb vielle­icht auch die Erken­nt­nis, dass das Bild des Würs­tel­standes eine Frage der Gestal­tung und eine Frage der Erzäh­lung ist, form and fic­tion. Darin muss kein Wider­spruch liegen. Bei­de soll­ten gut sein. Man muss ruhig darauf ver­trauen, dass sich an neuen Edel­stahlblechen und hin­ter stützen­losen Glaseck­en Geschicht­en anset­zen wer­den wie Moos oder Grünspan. Der Ruf ist immer nur so gut und lebendig, wie brauch­bare Geschicht­en in Umlauf sind, nicht nur alte Anek­doten.

Würstelbeat

Als in ein­er lauen Fre­ita­gnacht des ver­gan­genen Som­mers bei dem Stand nahe dem Prater­vor­platz zwei DJs auflegten, während sich vor ihnen ein end­los­er Strom von Jugendlichen dahin­wälzte zwis­chen der Großdis­co Prater-Dome und dem Nacht­club in der Fluc-Wanne, und als nach Stun­den zögern­den Herum­ste­hens schließlich ganze Trauben dieser Nachtvögel auf dem Asphaltvor­platz zu tanzen anfin­gen bis in die Mor­gen­stun­den, und irgend­wann ein­er der DJs reak­tion­ss­chnell den Fahrern des her­an­brum­menden MA48er Mist­wa­gens Cola und Würs­tel brin­gen ließ, damit diese anstatt zu kehren weit­er ihr gelbes Blin­klicht über die Tanzfläche fegen ließen, dann war das der Zipfel von ein­er Geschichte, die sog­ar irgend­wie bis zu Fal­co auf die Mari­ahil­fer­straße zurückzeigte, mit weniger Belehrung und besser­er Laune, für meinen Geschmack.

Gre­gor Schu­berth, Feb­ru­ar 2012
Erschienen in Spec­trum, Die Presse, 29. Juni 2012
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Wer akzent­frei am Würs­tel­stand bestellen kann und die Nachrede des Tax­i­fahrers ver­ste­ht, ist in der Stadt angekom­men.