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Sommerhaus Fellner Geroldgasse

Ein verkohlter Mono­lith am Rande des Wiener­waldes.
Auf der Grund­fläche von 35m² wurde ein Haus zur Som­mer- und teil­weisen Win­ter­be­nutzung errichtet. Der Bauherr beab­sichtigt das Haus im Wech­sel mit sein­er nahe gele­ge­nen Woh­nung zum Wohnen und Arbeit­en als freiberu­flich­er Grafik­er zu nützen.

Geroldgasse, Michaelaw­iese, 1170 Wien / 2011
Auf­tragge­ber: pri­vat

/ Vom ungezwungenen Leben /

Ein Häuschen, das im Wohnz­im­mer­bauch gängiger Stad­trandvillen Platz find­en kön­nte, außen verkohlt und innen ver­schachtelt; ein unwis­senschaftlich­er Erfahrungs­bericht vom Rande des Wiener­waldes.

Däm­mert da eine neue Siedler­be­we­gung zwis­chen Kritzen­dorf und dem Wil­helmi­nen­berg? Erdäpfel wer­den nicht mehr ange­baut um Eng­pässen zu trotzen wie noch vor 100 Jahren. Aber das Bedürf­nis nach dem ein­fachen und gün­sti­gen Häuschen am Rande der Stadt, mit einem Fleckchen Garten davor, ist geblieben. Lei­der ist man meist auf Erb­folge angewiesen um entsprechend zu siedeln. Die Klein­garten­gründe wer­den heute zu hor­ren­den Preisen gehan­delt.
Schon die ersten Begeg­nun­gen nehmen Ein­fluss auf das spätere Haus. Am Besprechungstisch in unserem Büro saß uns keine Vater-Mut­ter-Kind-Fam­i­lie gegenüber. Ein selb­ständi­ger Grafik­er und teilzeit­erziehen­der Vater ein­er kleinen Tochter über­nahm das Grund­stück von seinen Eltern, das in einem ver­steck­ten Wiener­wald­tal im aus­laufend­en 17. Bezirk gele­gen ist. Er zeigte uns als Beispiel Fotos eines hüb­schen und herun­tergekomme­nen Som­mer­häuschens in Döbling, nach der Art von Josef Frank gebaut, das er nach langem Zögern doch nicht bekom­men hat­te. Jet­zt zog er einen Neubau vor, aber die Erin­nerung an die ent­gan­gene Gele­gen­heit war noch lebendig.

Split living

Stellt man sich das All­t­ags-Wohnen mehr als ein Patch­work-Wohnen vor, dann ist vieles denkbar. Die beste­hende Woh­nung ist eng gewor­den, also wird sie um einen Garten samt Häuschen erweit­ert, die einzel­nen Bestandteile liegen nur 15 Minuten voneinan­der ent­fer­nt und zusam­men ergeben sie fast so etwas wie ein Ganzes. Mit Fahrrad, Ves­pa und Auto geht es hin und her, je nach­dem wie einem der Sinn und die Sonne ste­hen oder weil die Musik­stunde früher zu Ende gegan­gen ist. Das war kein eremi­tis­ch­er Rück­zug oder der sehn­süchtige Wegzug aufs Land, Kat­e­gorien wie ich sie dafür gebildet hätte mein­er Gewohn­heit nach. Hier wogen prak­tis­che Gründe, die sich mis­cht­en und über­lagerten. Der Kinder­garten bleibt der gle­iche, kein Kof­fer muss gepackt wer­den und in der Sand­kiste wird echter Sand drin­nen sein.

Was für die Lebensen­twürfe gilt, das gilt ja auch für die Architek­tur: Haus und Garten müssen mehr zusam­men­brin­gen als steif und ein­drucksvoll für das fröh­liche Grup­pen­bild zu posieren. Das Lächeln soll ungezwun­gen sein. Wir hiel­ten bei der zweit­en Besprechung unsere übliche Sicher­heits­belehrung ab, dro­ht­en mit hohen Baukosten und boten schmale Kost an: das passte dem Bauher­rn gut.

Er hat­te die alte Wan­duhr aufge­hoben, die in dem muf­fi­gen Con­tain­er gehangen war, der unserem Häuschen weichen musste, und wollte sie im neuen Haus an der gle­ichen Stelle wieder aufhän­gen. Die Zeit würde nicht ste­hen bleiben und die Uhr weit­ertick­en, irgend­wie blieb alles beim Alten. Scherzhaft nan­nte es meine Schwest­er ein­mal ein Oma-Haus.

Um die verkrüp­pelte Birke musste herumge­baut wer­den, so ent­stand die abgewinkelte Form der Hausecke mit der Ter­rasse davor.

Angeregt von ein­er alten japanis­chen Holzschutz ‑Tech­nik wur­den die Lärchen­bret­ter für die Außen­fas­sade an der Ober­fläche verkohlt. Das schim­mernde Schwarz fügt sich gut ein in die Wand aus kahlen Baum­stäm­men, die gle­ich hin­ter dem Haus aufragt. Der Zukun­fts­forsch­er Matthias Horx wohnt nicht weit ent­fer­nt und soll sich beim Joggen ver­wun­dert über die eben fer­tig gestellte Fas­sade geäußert haben. Ob darin Andeu­tun­gen über den näheren Ver­lauf der bevorste­hen­den Zukun­ft her­auszule­sen waren, wurde uns nicht über­bracht.

Die Schubladen im Inneren

Son­st taugt das Häuschen wenig zur Ein­siedler­hütte, die Nach­barge­bäude ste­hen auf Tuch­füh­lung und der übliche Ell­bo­gencheck aus drei Meter Abstands­fläche fehlt hier. Der Baukör­p­er durfte nicht mehr als 35m² Grund­fläche ver­brauchen und war in der Höhe mit 5 Metern streng begren­zt. Das geht sich mit den üblichen Raumhöhen nicht aus, daher ist das Obergeschoß mit 2,05 Meter deut­lich niedriger aus­ge­fall­en und dort, wo sich das Gefälle des Flach­dachs hin­neigt, ist es noch weniger. Als die 15 Fußball­fre­unde des Bauher­ren ein Spiel im Fernse­hen ver­fol­gten, muss das Haus sich milde gedehnt haben.

Im Zen­trum des Haus­es bilden Stiege, Kochzeile und San­itärkam­mer einen Kern, um den herum die Bere­iche für das Wohnen aufge­fächert liegen. Die Woh­necke, die Koch- und Ess­nis­che, durch den schmalen Gang ent­lang vor­bei an der Ein­gangstür und dem Antritt der Holzstiege gegenüber, weit­er im Kreis vor­bei an der Schiebetür mit Dusche und Klo dahin­ter, bis man wieder in der Woh­necke ste­ht. Ein Haus in dem man Fan­gen spie­len kann. Über der Sitz­gruppe des Wohn­bere­ich­es ist das Vol­u­men offen und unbe­baut als so genan­nter Luftraum. Wenn unten ein­er im Fau­teuil sitzt und oben ein­er am Schreibtisch arbeit­et, unter­hal­ten sie sich wie in benach­barten Zim­mern, nur übere­inan­der.

Der Esstisch ist höher als üblich und dient bei der knap­pen Kochfläche auch als Arbeit­splat­te. Er ist von ein­er Bank aus Ficht­en­plat­ten einge­fasst, unter der Sitzfläche sind Küchenuten­silien unterge­bracht. Klappt man das große Fen­ster nach außen, dann sitzt man auf der Bank fast wie im Freien neben der Ter­rasse.

Der Raum hin­ter der Ein­gangstür ist ger­ade so bre­it, dass man nach dem Ein­treten in der einen Hand den Schlüs­sel und in der anderen Hand noch eine Einkauf­s­tasche hal­ten kann.

In ein­er schmalen Kam­mer neben der Stiege liegen Dusche und Klo tagsüber wie zusam­menge­fal­tet. Abends und in der Früh lässt sich ein Teil der Seit­en­wand auf­schieben und eine weit­ere Wand­fläche wie eine Drehtür um 90 Grad herumk­lap­pen, so öffnet sich die Kam­mer und dehnt sich aus über den Gang hin­aus bis zur äußeren Ver­glasung, und ein richtiges Bad entste­ht. Das Glas ist dort ger­if­felt als Sichtschutz zu dem Nach­barhaus. Ein Raum, der sich so groß macht, wie es der Tag ger­ade von ihm ver­langt. Wie eine Schublade, die aufge­zo­gen wird, weil etwas zu erledi­gen ist.

Die Stiege nach oben wür­den wir heute schmäler machen, seit wir bemerkt haben, dass man beim Stiegen­steigen die Hüfte unbe­wusst leicht schräg dreht wenn es eng herge­ht. Die 75 cm waren zu üppig aus­gelegt. Große Gegen­stände wer­den durch den Luftraum hin­auf gehoben.

Eine Galerie führt oben zu den bei­den Schlafnis­chen wie ein schmaler Steg. Einzig das Bett der kleinen Tochter ist durch eine Tür abge­tren­nt, der Bauherr schläft hin­ter einem Vorhang aus grob gebördel­tem Filzstoff. Was von der Galerie noch übrig bleibt nimmt ein schmaler Schreibtisch ein. Zusam­men mit den offe­nen Regal­bret­tern ver­hin­dert er, dass man in den Wohn­raum hin­unter fällt. Weil die Tochter noch sehr jung ist, sind vor­läu­fig Wellplat­ten aus durch­sichtigem Kun­st­stoff davor geschraubt.

Von hier blickt man durch das große Panora­mafen­ster auf den Wal­drück­en des angren­zen­den Hügels. Nur nachts ver­rät ein gel­blich­er Schim­mer die nahe Großs­tadt. Doch kann zu viel Aus­sicht dem Arbeit­en schlecht bekom­men, der Bauherr lässt dann die Stoff­s­tores schon bei Tage herunter, der Wald ist ver­schwun­den und ein däm­mern­des Licht bleibt über dem Luftraum ste­hen. Im Gesicht des Com­put­er­ar­beit­ers mis­cht sich der weiß-blasse Schein des Groß­for­mat­bild­schirms dazu, eine Szene, die doch fast eremi­tis­che Züge trägt.

Sommerdusche und Eisregen

Wir borgten uns bei den Nach­barn eine Ausziehleit­er aus, weil wir das Haus gegen den abfal­l­en­den Hang hin auf gle­ich­er Höhe fotografieren woll­ten. Denn weniges fürchtet der Architek­tur­fo­tograf so sehr wie stürzende Lin­ien, als wenn das das Äußer­ste wäre, was in der Welt aus dem Lot ger­at­en kann. Bei dem regen­nassen und erdi­gen Hang wären auch stürzende Architek­tur­fo­tografen vorstell­bar gewe­sen, aber alles ging gut und der Fotograf fiel nicht von der Leit­er. Son­st wer­den mit diesen Leit­ern die Obst­bäume abgeern­tet und die Nach­barn wiesen uns auch besorgt darauf hin, dass wed­er die Äpfel noch die Bir­nen schon reif wären fürs Ern­ten.

Um die Außen­dusche sind von den Garte­nar­chitek­ten dun­kle Kiesel­steine aus­gelegt wor­den. Sie fär­ben sich tief schwarz wenn sie nass wer­den. Als uns beim Fotografieren ein Hagel­sturm über­raschte, bildete sich eine wäss­rige Schicht aus glitschi­gen Eiskugeln über den schwarzen Kiesel­steinen. Der Hagel hat­te sich angekündigt, als schon früh abends die Autos der Nach­barhäuser nach und nach mit Pla­nen für­sor­glich zugedeckt wur­den. Nur unseres blieb unbe­deckt.

Nach Diskus­sio­nen über die Anfer­ti­gung der verkohlten Fas­saden­bret­ter erstell­ten wir ein­mal im Spaß eine Liste der bren­nen­den Häuser in Film und Lit­er­atur. Mein Lieblings­beispiel: am Ende des Filmes Opfer von Andrej Tarkowsky bren­nt das Som­mer­haus ab in ein­er einzi­gen, durch­laufend­en Ein­stel­lung von 20 Minuten Länge. Doch war die Kam­era beim ersten Dreh nicht gelaufen, und so musste das Haus wieder­aufge­baut und die Feuers­brun­st wieder­holt wer­den, was das Pro­jekt an den Rand des Ruins trieb.

Wenn es eine Dok­trin gegeben haben sollte in den let­zten Jahren, nach der bei Klöstern, Par­la­ments­ge­bäu­den und Dachauf­baut­en die neuen und alten Bauglieder streng voneinan­der getren­nt sein müssen, eine Regel die ein­fach genug war, dass sie für Großbüros und Gemein­deräte prak­tisch und verbindlich fest­stand, so galt diese Dok­trin nicht für dieses Haus, das ja gar kein Umbau war. Hier war alles neu und nichts musste fein säu­ber­lich vom Bestand abge­gren­zt wer­den. Meine Schwest­er war als Planer­in 30jährig noch kein alter Sack und der Bauherr war es auch nicht, also musste das Haus nicht geliftet erscheinen oder irgend­wie aufge­spritzt.

Ich drängte den Fotografen mir in den Wald hin­ter dem Häuschen zu fol­gen, da ich von dort, zwis­chen dem Dic­kicht der Stämme ger­ahmt einen viel­sagen­den Blick auf das Haus erwartete. Mir schwebte etwas von der Poe­sie rus­sis­ch­er Birken­stämme vor, wie sie in anderen Tarkowsky-Fil­men vorkom­men. Aber wie so oft stimmten Vorstel­lung und Wirk­lichkeit nicht übere­in. Das Zögern des Fotografen war berechtigt gewe­sen, der Blick taugte nichts, er wirk­te banal und das Haus war ver­stellt. Nur unsere Schuhe wur­den schmutzig im rutschi­gen Unter­holz und wir hofften nicht in Hun­dekot zu treten.

Gre­gor Schu­berth, März 2012

Haus und Sein, Blick vom geöffneten Badez­im­mer in den Garten; Plas­til­in­bild 55x40cm